
06 Apr Das Patriarchat ist am schönsten, wenn es brennt
Laurie Penny ist eine der lautesten und berühmtesten Stimmen des jungen Feminismus. Flapsig und immer auf den Punkt schreibt sie in ihren Essays nicht nur über Feminismus, sondern über alle Themen, die unweigerlich mit der Gleichberechtigung der Menschen verbunden sind, darunter Politik, Wirtschaft, Kultur, Macht, Medien und Journalismus. In Bitch Doktrin sammelt Laurie Penny einige ihrer besten Essays aus den Jahren 2013 bis 2016, die sich mit eben diesen Themen befassen – immer verbunden mit dem Wunsch nach einer besseren Welt.
Der Feminismus ist so hip wie noch nie: Instagram-Sternchen tragen Shirts mit coolen Feminismus-Sprüchen drauf, Hollywood produziert Filme mit Superheldinnen und immer mehr prominente Persönlichkeiten müssen sich für ihre sexuellen Übergriffe verantworten. Das sei aber nicht das Ende des Feminismus, sondern vielmehr der Beginn eines großen grollenden Tsunamis, der „alte Gewissheiten fortschwemmt“. Wie viele allgemein akzeptierte Annahmen über Frauen* in unserer Gesellschaft verankert sind, beschreibt Laurie Penny in ihren Essays: Durch die Augen ihrer linken, feministischen und kapitalismuskritischen Weltsicht blickt sie auf die Gesellschaft der westlichen Welt und prangert deren Missstände offen an. Darunter nicht nur das exklusive Schönheitsideal, sondern auch die Vergewaltigungsgesellschaft, Politische Korrektheit, Emotional Labour, Gender Pay Gap, Transphobie und die Backlashes, die aufgrund der steigenden Popularität und der Erfolge des Feminismus entstanden sind. Dabei vermischt sie unterhaltsam ihre eigenen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Studien und feministischer Theorie. Gleichzeitig übt sie aber auch Kritik an dem populären, entpolitisierten Feminismus, nach dem sich Frauen wie Ivanka Trump und Sheryl Sandberg Feministinnen nennen und eine Handvoll mehr Frauen* in Führungspositionen und Hollywoodfilmen ausreichen, um von Gleichberechtigung zu sprechen.
Egal, was wir heute sonst noch sein mögen, wir Frauen lernen immer noch, dass wir gescheitert sind, wenn wir nicht von Männern geliebt werden […]. Problematisch ist das, weil von uns erwartet wird, dass wir, um diesen Zuspruch zu erlangen, in allen anderen Bereichen des Lebens unsere Macht beschneiden. Wir sollen unsere Intelligenz herunterspielen, wir sollen finanziell oder beruflich nicht erfolgreicher sein als unsere Partner. Wir dürfen Kreativität und Ehrgeiz an den Tag legen, aber nie mehr als der Mann in unserem Leben, damit er sich nicht bedroht fühlt. Dabei gibt es wenige Männer, für die sich dieses Opfer lohnt. – S. 66
Obwohl es mittlerweile eigentlich nicht mehr notwendig sein sollte, betont Laurie Penny an mehreren Stellen des Buches, dass sie und der Feminismus sich nicht gegen Männer per se richten, sondern gegen das Patriarchat und toxische Männlichkeit, von denen Männer weltweit profitieren. Das betrifft nicht nur die Karriere, sondern auch das private Leben, in denen Frauen* einen großen Teil der Arbeit übernehmen und damit mehr Emotional Labour leisten als ihre Partner – natürlich unbezahlt. Dazu gehören aber auch Märchen über eine angebliche „Work-Life-Balance“ und Maßnahmen gegen Vergewaltigungen, die sich immer nur an Frauen*, aber nicht an Männer richten – wobei Laurie Penny nicht unterschlägt, dass es männliche Vergewaltigungsopfer gibt, die in der Debatte nicht übergangen werden dürfen. Als zentrales Instrument der Unterdrücken dient dem Patriarchat nach Laurie Penny die Scham: „Scham ist hier das beherrschende Thema, Scham und Verachtung für alle, die die Frechheit besitzen, so zu tun, als würden sie als Menschen etwas zählen“ (S. 190). Kapitel für Kapitel deckt Laurie Penny die Widersprüche unserer Gesellschaft auf, mit denen Frau*sein verbunden wird.
Hört auf mit diesen Widersprüchen. Hört auf Mädchen einzureden, sie seien wertlos, wenn sie nicht sexy, schön und willig sind, und ihnen dann vorzumachen, sie seien selbst schuld, wenn sie vergewaltigt werden, weil sie sich auftakeln wie Schlampen. Hört auf ihnen zu erzählen, sie müssten Bestleistungen bringen, selbstständig und von einem Mann unabhängig sein, nur um ihnen dann für jede Freiheit, die sie sich erkämpfen, Hass entgegenzuschleudern.
Hört auf, jungen Frauen beizubringen, sich selbst zu verabscheuen. Denn ich will euch mal etwas über junge Frauen erzählen […]: Junge Frauen sind genial. – S. 164
Ein zentrales Anliegen von Laurie Penny ist die Repräsentation aller Menschen in Kultur und Öffentlichkeit. Dabei schließt sie explizit nicht nur Frauen, sondern auch Queere Menschen ein. Laurie Penny spricht sich dabei für einen Queerfeminismus aus, der alle Menschen einschließt und sich „gegen Gewalt und Gender-Essentialismus stellt“ (S. 178). Im Zuge dessen kritisiert sie die Transphobie und den Rassismus einiger Feminist*innen. Sie spricht sich mit gut durchdachten Argumenten für Quotenregelungen, die Selbstbestimmung aller Frauen* über ihre Körper und damit auch für das Recht auf Abtreibung aus. Indem sie zahlreiche Beispiele aus der Popkultur heranzieht – darunter Bücher wie Der Report der Magd von Margaret Atwood, James Bond oder den feministischen Science-Fiction-Film Fury Road – nimmt Laurie Penny die Film- und Medienlandschaft aufs Korn, in der die Diversität der Frauen* nicht abgebildet wird. Gleichzeitig kritisiert sie die Nerdkultur des Silikon-Valley, in der sich die weißen privilegierten Tech-Milliardäre als missverstandene Außenseiter positionieren und dabei ihr gesamtes Kaleidoskop an Privilegien übersehen. Laurie Penny ist dabei durchaus provokant unterwegs. Sie bietet einige Möglichkeiten der Kritik, da eben auch sie – wie jeder Mensch – keine objektive Sicht auf die Welt haben kann. Doch dabei ist sie so unterhaltsam und eloquent wie kompromisslos und intellektuell. Als einzigen Ausweg aus dem Patriarchat sieht Laurie Penny eine Umstrukturierung der Gesellschaft, in der sich Männer und Frauen gleichberechtigt begegnen. Trotz des Gegenwinds verliert sie nie die Hoffnung auf eine solche Zukunft.
Laurie Penny: Bitch Doktrin. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Edition Nautilus, 2017. 320 Seiten. 18 €.
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