
03 Feb Never Gonna Dance
Zadie Smith schreibt mit Swing Time einen klugen durchdachten Roman, der wichtige gesellschaftsrelevante Themen aufgreift. Zentrale Elemente der Geschichte sind die Identitätsfindung zweier Freundinnen, Rassismus und Klassenunterschiede. Leider geht Zadie Smith die einzelnen Themen zu ambitioniert an – einige Erzählstränge verlaufen dadurch im Nichts.
Als kleine Mädchen lernen sich Tracey und die namenlose Ich-Erzählerin des Romans im Tanzunterricht kennen. Aus einem anfänglichen Gefühl der Verbundenheit, weil sie die zwei einzigen Schwarzen Mädchen in der Tanzklasse sind, wird eine langjährige Freundschaft. Sie wachsen gemeinsam in den Achtzigern im armen Nordwesten Londons auf. Die Anonyme mit einer aus Jamaika stammenden Mutter und einem weißen Vater; Tracey mit einer weißen Mutter und einem Schwarzen Vater. Solche wohl konstruierten Gegensätze finden sich zuhauf in Zadie Smiths Roman.
Die Liebe zum Tanzen und alten Musicals schweißt die beiden Mädchen zusammen. Während Tracey jedoch ihrem Kindheitstraum folgt und eine Karriere als Tänzerin anstrebt, kann die Erzählerin nicht mit ihrer talentierten und herrischen Freundin mithalten. Sie geht stattdessen angespornt von ihrer bildungshungrigen Mutter aufs College. Über Umwege wird sie schließlich die Assistentin der berühmten Sängerin Aimee.
Doch für mich war ein Tänzer ein Mensch, der nirgendwo herkam, der keine Eltern und Geschwister hatte, keine Nation und kein Volk, keinerlei Verpflichtungen, genau diese Eigenschaft war es, die mir so gefiel. – S. 38
Die anonyme Erzählerin erinnert sich retrospektiv an ihre Kindheit und die Anfänge ihrer Karriere. Was zunächst als Coming-of-Age-Roman beginnt, wird zunehmend ein Roman über Klassen- und Rangunterschiede, über Identität und Globalisierung. Denn mit dem Erscheinen von Aimee, einem divenhaften Mega-Popstar, der sich von anderen nichts sagen lässt, schwenkt der Fokus des Romans um – weg von der Freundschaft hin zu einem von Aimee finanzierten Schulprojekt in Westafrika. Die Fülle an Themen, die Zadie Smith in Swing Time unterzubringen versucht, wird dadurch immer größer: Sexismus, Rassismus, Emanzipation und Klassenunterschiede, Bildung, Entwicklungszusammenarbeit, islamistische Propaganda und Globalisierung quetschen sich unter anderem auf die 640 Seiten des Romans. Zadie Smith geht dabei selten in die Tiefe. Sie lässt ihre Erzählerin bei all den emotional aufgeladenen Themen erstaunlich unbeteiligt. Stattdessen handelt die Autorin akademisch und ohne unnötige rhetorische Spielereien die einzelnen Themen ab. Die Erzählerin bleibt dabei häufig hinter der Stimme der Autorin zurück. Swing Time ist ein kritischer und klug durchdachter Roman, den ich sehr gern gelesen habe. Da Zadie Smith jedoch versucht, eine ganze Menge an Themen in den Roman zu verpacken, verlaufen sich einige Handlungsstränge im Nichts. Am Ende wirkt vieles nicht zu Ende erzählt.
Oft fragte ich mich: Ist das eine Art Ausgleich? Müssen andere verlieren, damit wir gewinnen können? – S. 74
Zu meiner Heldin des Romans wurde hingegen die Mutter der Erzählerin. Anstatt im Londoner Viertel mit Glitzerschmuck aufzufallen, trägt sie Latzhosen und Espadrilles. Sie ist eine intelligente, durchsetzungsfähige und bildungshungrige Frau. Während der Vater den Haushalt schmeißt, liest sie Bücher linker Theoretiker, holt ihr Abitur nach und schlägt schließlich einen Karriereweg in der Politik ein. Emanzipatorisch und zeitweise egoistisch erarbeitet sie sich ein besseres Leben und wächst über die unsichtbaren Grenzen ihres Milieus hinaus.
Zadie Smith: Swing Time. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Kiepenheuer & Witsch, 2017. 640 Seiten. 24€.
No Comments