
05 Jan Wir könnten niemals Freunde sein
Lizzie Doron und Nadim Abu Heni sitzen gemeinsam mit einer Vertreterin der Europäischen Union in einem Restaurant Tel Avivs. Sie wollen das gemeinsame und von der EU unterstützte Buch- und Filmprojekt besprechen. Doch eigentlich spricht nur Nadim. Er erzählt von seiner Kindheit und von seiner Frau Leila, die aus dem Gaza-Streifen stammt und deshalb lediglich aufgrund eines Touristenvisums, das jedes Jahr neu beantragt werden muss, in Jerusalem leben darf. Lizzie Doron schweigt, doch innerlich steigt ihre Wut während Nadim erzählt und die Vertreterin der Europäischen Union ein ums andere ein „Kafka“ ausstößt und ihr feindselige Blicke zuwirft. Für diese ist klar, wer in der Geschichte Israels gut und wer böse ist. Dass der Nahostkonflikt aber deutlich komplizierter ist, wissen Lizzie Doron und Nadim Abu Heni, die sich auf einer israelisch-palästinensischen Friedenskonferenz in Rom kennenlernen und von da an Freunde sind – oder zumindest versuchen, Freunde zu sein – nur zu gut. Denn zwischen ihnen liegt ein tiefer Graben voller Leid, Schuld und Vorwürfen, der unüberwindlich scheint.
Ich denke an Nadim, der sich in Zyklen bewegt wie die Jahreszeiten – er kommt und geht, er kommt und geht, Herbst, Winter, Frühling und Sommer. Manchmal stürmisch, manchmal ruhig, manchmal blühend, manchmal welk, manchmal warm, manchmal kalt und wie erstarrt. – S. 12
Lizzie Doron ist eine israelisch-jüdische Schriftstellerin und die Tochter von Überlebenden des Holocaust. Nadim Abu Heni – ein fiktiver Charakter, der an eine reale Person angelehnt ist – ist ein palästinensisch-muslimischer Journalist, der gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern in Ost-Jerusalem lebt. Als sie sich auf einer Friedenskonferenz kennenlernen, beschließen sie, ihre Geschichte festzuhalten und einen kleinen Beitrag zum Frieden im Nahostkonflikt zu leisten. Er will einen Film drehen, sie ein Buch schreiben. Doch währenddessen stoßen sie zunehmend an ihre Grenzen: Sie haben nicht nur unterschiedliche Vorstellungen vom Frieden, sondern sind auch durch ihre jeweiligen Vergangenheiten – Holocaust, Kriege, Terroranschläge, Besatzung und Nakba – nicht in der Lage, ihr gegenseitiges Misstrauen abzulegen und das Leid des jeweiligen anderen zu akzeptieren.
Da waren ein Mann und eine Frau, die im selben Land geboren worden waren, für den einen hieß es Palästina, für die andere Israel, die Hauptstadt des einen war auch die Hauptstadt der anderen – nur nannte er sie El Kuds, und sie Jerusalem. Er sprach nicht Hebräisch und sie nicht Arabisch. – S. 82
Who the Fuck Is Kafka sollte ursprünglich ein dokumentarisches Buch werden, in dem Lizzie Doron das Leben des palästinensischen Journalisten, der in dem Buch Nadim heißt, und ihre gemeinsamen Begegnungen festhält. Erst auf seine Bitte hin, wandelte die Autorin den Text ins Fiktive um und ließ seine Perspektive außen vor. Er hatte Angst als Kollaborateur diffamiert zu werden. Von der Arbeit an den gemeinsamen Projekten wussten zudem nur Nadims Frau und Kinder. Selbst vor dem eigenen Vater hielt er sie geheim. Somit ist Who the Fuck Is Kafka zu einem Monolog der Autorin geworden, in dem sie sich in kurzen Abschnitten an ihre Freundschaft mit Nadim erinnert. Alles außerhalb dieser Freundschaft bleibt vage. Ihre Erinnerungen – die Übersetzung stammt von Mirjam Pressler – habe ich dennoch als sehr intensiv wahrgenommen. Die Spannung zwischen Lizzie Doron und Nadim Abu Heni ist auf jeder Seite zu spüren. Gleichzeitig hatte ich während des Lesens aber Probleme mit der starken Ich-Fokussierung der Autorin. So sehr sie Verständnis für ihr eigenes Leid einfordert, so wenig ist sie bereit, diese Empathie der palästinensischen Seite gegenüber zu zeigen. Nur die Perspektive Nadims hätte die Handlung komplettieren und damit ein Gleichgewicht in der Schilderung der Freundschaft herstellen können.
Lizzie Doron vermag es in Who the Fuck Is Kafka die ganze Komplexität des Nahostkonfliktes auf zwei Menschen herunterzubrechen, die trotz all ihrer Differenzen versuchen, Freunde zu sein. Sie entwickeln einen Traum, an dem sie schließlich beide scheitern: der Film wird nie gedreht, das Buch zur Sicherheit so geschrieben, dass der wahre Mensch hinter Nadim nicht zu erkennen ist. Damit fehlt dem Roman die Intensität der zweiten Perspektive – auf die Freundschaft und auf den Nahostkonflikt. Nichtsdestotrotz ist Who the Fuck Is Kafka ein intensives Leseerlebnis, das viel über die Menschen Israels verrät.
Lizzie Doron: Who the Fuck Is Kafka. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. 257 Seiten. 10,90 €.
Leselaunen
Posted at 13:49h, 06 JanuarEine beeindruckende Rezension, danke dafür!
Neri, Leselaunen
Cora
Posted at 18:40h, 07 JanuarUnd ich danke für das liebe Kompliment <3